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19.07.2016

#windkraftwissen: "Windenergie ist eine der wichtigsten Säulen des Klimaschutzes"

Experteninterview mit Dr. Martin Pehnt, wissenschaftlicher Geschäftsführer des ifeu.

Die GRÜNEN Heidelberg wollen die Debatte über Windenergie versachlichen und mit Informationen und Expertenwissen eine vernünftige und zielorientierte Auseinandersetzung mit dem Thema erreichen. Wir machen daher den Faktencheck und lassen von Experten Behauptungen über Windenergie überprüfen. Lesen Sie hier ein Experteninterview mit Dr. Martin Pehnt, wissenschaftlicher Geschäftsführer des ifeu - Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg, zu den Themen Energiewende und Klimaschutz.

1. Behauptung: Der CO2-Ausstoß Deutschlands ist in den letzten fünf Jahren nicht so gesunken wie erhofft, der massive Ausbau der Windenergie ist hier nur ein Tropfen auf den heißen Stein.

Nein, ganz im Gegenteil: die Windenergie ist eine der wichtigsten Säulen des Klimaschutzes. Windkraft hat 2015 13 % des deutschen Stromverbrauchs gedeckt. Über 50 Millionen Tonnen CO2 wurden letztes Jahr durch Windkraft vermieden – das entspricht dem jährlichen CO2-Ausstoß von 32 Millionen Autos. Und die CO2-Emissionen der Stromerzeugung sinken, obwohl wir gleichzeitig die Mammutaufgabe des Ausstiegs aus der Atomenergie bewerkstelligen müssen. Das wäre ohne Windstrom nicht möglich gewesen.

Wenn wir die Klimaziele von Paris ernst nehmen, müssen wir diesen Umbauprozess weiter fortsetzen. Denn Paris bedeutet für uns: Strom-, Wärme- und Verkehrssektor müssen in den nächsten Jahrzehnten fast vollständig dekarbonisiert werden - weg von fossilen Brennstoffen. Klimaschutz durch mehr Schienenverkehr, Elektroautos und effiziente Wärmepumpen: das heißt auch mehr Strombedarf, den wir klimafreundlich decken müssen. Wasserkraft und nachhaltige Biomasse haben begrenzte Ausbaupotenziale, Geothermie kommt sehr langsam in Schwung, da bleiben vor allem Wind- und Solarenergie als Stützen einer erneuerbaren Energiewelt.

Unsere Berechnungen und Szenarien zeigen, dass wir dafür gar nicht so viel mehr Windanlagen brauchen. Durch die bessere Effizienz und Leistung neuer Anlagen wird die Zahl der Windanlagen in einer erneuerbaren Energiewelt von derzeit 26 Tausend nur auf rund 30 Tausend steigen müssen, wenn wir auch unsere anderen Hausaufgaben, nämlich die der Energieeinsparung, ernst nehmen.

Auch ich finde übrigens, dass die Maßnahmen, die die Bundesregierung bisher ergriffen hat, um aus der Kohleverstromung auszusteigen, nicht ausreichen. Dazu sind die heutigen "CO2-Verschmutzungsrechte" im Emissionshandel viel zu günstig und decken nicht den volkswirtschaftlichen Schaden ab.

Deswegen setzen wir am Heidelberger ifeu uns sehr für eine Reform der Energiebesteuerung und Mindestpreise für CO2 ein. Viele europäische Nachbarn führen derzeit CO2-Abgaben ein. Wenn CO2 ein echtes Preisschild bekommen würde, würde Kohlestrom teurer – und Windstrom würde noch mehr Kohlestrom ersetzen als bereits heute.

2. Behauptung: Erneuerbare Energien werden subventioniert, ohne diese Subventionen wäre die Windenergie als Investition nicht interessant.


Windkraft- und Photovoltaikanlagen sind mittlerweile wirtschaftlich und an guten Standorten sogar deutlich günstiger als Strom aus neuen Gas- und Kohlekraftwerken. Das ist eine wirkliche Preisrevolution! Noch vor 10 Jahren wurde bezweifelt, dass Erneuerbare je konkurrenzfähig würden. Schlägt man dann noch die sogenannten „externen Kosten“ (vor allem Klimaschadenskosten) drauf, die heute die Gesellschaft zahlt, sind erneuerbare Energien die günstigste Form der Stromerzeugung überhaupt.

Die vieldiskutierte EEG-Umlage, die auf der Stromrechnung ausgewiesen ist, stammt vor allem aus der Zeit der Markteinführung der erneuerbaren Energien. Paradoxerweise ist sie auch deshalb gestiegen, weil die erneuerbaren Energien den Börsenstrompreis gesenkt haben. Die Energieversorger haben diese Kostensenkung aber vor allem an ihre Industriekunden weitergegeben.

Apropos Subventionen: Kohle und Atom haben besonders hohe staatliche Subventionen erhalten. Steinkohle hat in den letzten Jahrzehnten über 300 Milliarden Euro bekommen, Atomenergie 220 Mrd. Euro, Braunkohle 100 Milliarden Euro (zum Vergleich: Erneuerbare 100 Milliarden). Diese Subventionen für fossil-nukleare Energieträger tauchen aber auf keiner Stromrechnung auf. Wen diese Effekte genauer interessieren, empfehle ich die Broschüre "Was Strom wirklich kostet".

Eines dürfen wir in dieser Debatte nicht vergessen: mit dem EEG haben wir vor allem eine weltweite Energiewende angeschoben. Beispielsweise hat die große Nachfrage nach Solaranlagen die Kosten in den letzten zehn Jahren um 75 % gedrückt. Davon profitieren jetzt viele Millionen Menschen in sonnenreichen Ländern, die bislang keinen Zugang zu Strom hatten.

3. Behauptung: Die Windenergie verdrängt umweltverträglichere Technologien wie Gas aus dem Markt und unterstützt damit das Weiterbestehen der Kohle als Energieressource.

Es ist korrekt, dass Windenergie aktuell noch wenig zur Verdrängung der klimaschädlichsten Stromerzeugung, nämlich der aus Braunkohlekraftwerken, beiträgt. Das liegt an den niedrigen CO2-Zertifikatspreisen. Aktuelle Simulationen mit europäischen Kraftwerksmodellen  zeigen, dass Wind momentan vor allem die Stromerzeugung aus Steinkohle (zu ca. 60%) und Erdgas (zu ca. 40%) verdrängt. Denn Windstrom ersetzt jeweils den Strom, der an der Strombörse am teuersten gehandelt wird - so trägt Windstrom übrigens zu einer sehr deutlichen Senkung des Großhandelspreises für Strom bei. Je teurer die CO2-Emissionen in Zukunft werden, desto mehr wird auch die Kohle verdrängt werden. Auch hier gilt: durch einen wirksameren Emissionshandel und Energiesteuern mit Klimalenkung könnte dies noch schneller gehen.

Nicht zuletzt ist aber auch die Verdrängung der Stromerzeugung aus Erdgas energie- und klimapolitisch sinnvoll. Erdgas ist eine deutlich knappere Ressource als Kohle, die wir für ein Energiesystem mit hohen Anteilen regenerativer Energieträger zur Flexibilisierung des Systems brauchen. Und auch bei Verdrängung von Erdgas werden CO2-Emissionen vermieden – immerhin knapp 600 Gramm pro Kilowattstunde Windstrom (Steinkohle: 810 Gramm/kWh).

Dr. Martin Pehnt ist wissenschaftlicher Geschäftsführer des ifeu - Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg.

Wir veröffentlichen in den nächsten Tagen weitere Beiträge von Experten zum Thema Windenergie auf unserer Webseite. Ziel ist eine Versachlichung der Debatte mit Information und Expertenwissen, um eine vernünftige und zielorientierte Auseinandersetzung mit dem Thema Windenergie in Heidelberg zu erreichen. Am Donnerstag, 21. Juli, entscheidet der Heidelberger Gemeinderat darüber, in welchen Konzentrationszonen künftig Windräder gebaut werden könnten. Hier geht es zur Beschlussvorlage (TOP 6). Die GRÜNE Gemeinderatsfraktion hat zudem beantragt, dass FFH-Gebiet aus der Konzentrationszone bei Drei Eichen herauszunehmen.


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