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02.06.2004

Zuwanderungsgesetz - eine Bewertung aus grüner Sicht

Betreff: Zuwanderungsgesetz

Liebe Freundinnen und Freunde,

gestern haben sich SPD und BÜNDIS 90/DIE GRÜNEN mit der Union beim Zuwanderungsgesetz auf einen Kompromiss verständigt. Damit sind die Versuche der Oppositionsparteien endgültig gescheitert, das Zuwanderungsgesetz durch immer neue unsinnige Forderungen im Vermittlungsausschuss zu verhindern. Ebenso gescheitert ist der Versuch, das Gesetz des Kerns zu berauben. Auch der sicherheitspolitische Amoklauf der Konservativen konnte gestoppt werden.

Dieser Kompromiss zwischen Regierung und Opposition ist aus unserer Sicht keineswegs ideal. Er ist nicht der große Durchbruch und der Modernisierungsschritt, den wir GRÜNE und andere gesellschaftliche Gruppen 2001 erwartet haben. Unser Land braucht weitaus mehr Öffnung und mehr Zuwanderung, als diese Einigung zulässt.

Insgesamt geht das Gesetz in die richtige Richtung und bringt in für uns wichtigen Politikbereichen Fortschritte:

Beim humanitären Teil konnten wir die Anerkennung der nicht-staatlichen Verfolgung und Verfolgung aufgrund des Geschlechts durchsetzen. Gerade die geschlechtsspezifische Verfolgung war von der Union bis zum Schluss bekämpft worden. Wir haben die Möglichkeit des Ersuchens einer Härtefallkommission aus humanitären Gründen, wie sie im rot-grünen Gesetzesentwurf enthalten war, bewahrt. Wir haben die Voraussetzungen für eine Beendigung von Kettenduldungen verbessert und sind damit sogar über dem rot-grünen Gesetzentwurf hinausgegangen.

Wir haben den Rechtsanspruch auf Integrationsleistungen für alle neu eingereisten Migrantinnen und Migranten sichergestellt. Das bedeutet, dass niemand wegen fehlender Integrationsangebote sanktioniert werden kann.

Bei der Arbeitsmigration bauen wir darauf, dass die Realität in den kommenden Jahren zu einer Einsicht auch bei den Konservativen führen wird. Gestern haben wir eine Öffnung der Zuwanderung für Hochqualifizierte, ausländische Studienabsolventen und Selbstständige erreicht. Sie werden mit einer Niederlassungserlaubnis von Anfang an und dauerhaft in Deutschland bleiben können.

Beim Thema Sicherheit wird es eine Abschiebungsanordnung aufgrund einer tatsachengestützten Gefahrenprognose geben. Dies ist nach der heutigen Rechtslage bereits möglich. Der offensichtlich verfassungswidrige Vorstoß der Union zur Abschiebung bei Verdacht ist damit vom Tisch. Bei der Verpflichtung von MigrantInnen, im Einbürgerungsverfahren Vorstrafen im Ausland bekannt zu geben, haben wir gewährleistet, dass dabei nur die in einem rechtsstaatlichen Verfahren verhängten Vorstrafen relevant sind.

Die Einführung einer Regelanfrage über verfassungsfeindliche Erkenntnisse vor der Erteilung von Niederlassungserlaubnis oder Einbürgerung ist das einzige Zugeständnis, das von unserem Länderratsbeschluß vom 8. Mai 2004 abweicht. Hierbei muss erwähnt werden, dass die Regelanfrage in einigen Bundesländern jetzt schon bei der Erteilung von befristeten Aufenthaltstiteln durchgeführt wird.

In anderen Fragen haben wir den Unionsforderungen die Giftzähne gezogen:

Bei der Einführung einer Ermessensausweisung für geistige Brandstifter; haben wir durchgesetzt, dass einfache Meinungsdelikte nicht mit der Ausweisung durch eine Gedankenpolizei bestraft werden können. Die zwingende Ausweisung bei Schleusern findet nur im Falle einer Verurteilung zu einer Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr statt. So wird sie nur banden- und erwerbsmäßige Schleusertätigkeiten erfassen. Eine Warndatei, in die deutsche StaatsbürgerInnen bei Einladung ausländischer Gäste nach Deutschland registriert werden, wird die Bundesregierung nicht einrichten.

  • Auch andere Polizeistaatsfantasien der Union haben wir abgewehrt:
  • Es wird keine Verschärfung beim Visaverfahren geben. Das Innenministerium bekommt keine Aufsichtsbefugnis über die Visavergabe des Auswärtigen Amtes.
  • Röntgenuntersuchung zur Altersfeststellung bei Minderjährigen wird es nicht geben
  • Eine nachgeholte Sicherheitsüberprüfung aller nach Deutschland einreisenden Ausländer haben wir verhindert

Darüber hinaus hat die Union von einer Strategie der Rückabwicklung der Zuwanderung Abschied nehmen müssen:

  • Keine Sicherungshaft, also keine "Haft ohne Haftgrund"
  • Keine Zwingende Ausweisung bei einem bzw. zwei Jahr Haftstrafe. Hier bleibt das Strafmaß bei drei Jahren
  • Keine generelle Ausweisung von Leitern verbotener Vereine
  • Keine Durchbrechung des Abschiebungsschutzes bei politischer Verfolgung
  • Keine Beschränkung des Rechtsschutzes bei Ausweisungen über die rot-grüne Abschiebeanordnung hinaus
  • Keine Speicherung der ethnischen Zugehörigkeit im Ausländerzentralregister

Auch die sogenannten Restanten - Unionsforderungen, die eigentlich nichts mit dem Zuwanderungsgesetz zutun hatten - konnte die Union nicht durchsetzen. Dies heißt unter anderem:

  • Keine Verschärfungen des Asylbewerberleistungsgesetzes
  • Keine Verschärfungen der rot-grünen Staatsangehörigkeitsreform
  • Keine Verschärfung des eigenständigen Aufenthaltsrechts von Ehegatten
  • Keine Verschärfungen der Abschiebehaft
  • Keine Verschärfungen im Asylverfahrensgesetz
  • Keine Verschärfung des Familien- und Kindernachzugs

Dieser Kompromiss ist also alles andere als ein Erfolg für die Angela Merkel, die sich mit den Forderungen der Union inhaltlich nicht durchgesetzt hat. Wir sind der Meinung, dass der Kompromiss insgesamt eine Verbesserung der bestehenden Rechtslage in den Kernbereichen des Zuwanderungsgesetzes - Zuwanderung, Flüchtlingsschutz und Integration - darstellt und begrüßen die gestern erzielte politische Einigung grundsätzlich. Diese muss jetzt in eine konkrete Gesetzesform gebracht werden.

Weil die Union bei den Inhalten fast auf der ganzen Linie an Rot-Grün gescheitert ist, versucht sie nun, das vereinbarte Verfahren so darzustellen, als wären BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nicht mehr beteiligt. Dies ist falsch und ein dreister und allzu offenkundiger Versuch, ihre eigene Verhandlungsniederlage zu verschleiern.

Wir haben mit dem Bundeskanzler die klare Abmachung getroffen:

1. Die politischen Verhandlungen über das Zuwanderungsgesetz sind mit dem gestrigen Tag abgeschlossen. Das Ergebnis wird bis spätestens Ende Juni in Gesetzesform gegossen.
2. Die Ausformulierung des Gesetzestextes wird mit uns abgestimmt. Volker Beck und die Fachleute in der Bundestagsfraktion werden daher in allen Phasen der Erstellung des Gesetzes eingebunden sein.

Eine endgültige grüne Entscheidung über das Gesetz kann erst gefällt werden, wenn ein konkreter Gesetzestext vorliegt. Diese Entscheidung wird in den Gremien der Partei und Fraktion fallen.


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