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02.07.2004

Fritz Kuhn zum Zuwanderungsgesetz

„Zuwanderungsgesetz bedeutet Hegemoniegewinn gegenüber den Konservativen“

Der nun ausgehandelte Kompromiss zum Zuwanderungsgesetz kann uns Grüne im Einzelnen nicht zum Freudentaumel bringen. Aber wir würden es uns auch zu einfach machen, das Verhandlungsergebnis allein daran zu messen, was wir selber wollten und wollen. Denn die Widerstände gab es doch nicht nur in der konservativen Opposition mit ihrer Bundesratsmehrheit. Ängste und Widerstände gab es immer auch in Teilen der Bevölkerung und ebenso beim Koalitionspartner und in Teilen seiner Anhängerschaft. Mit der Wirtschaftskrise und wachsenden Arbeitslosigkeit in den letzten zwei Jahren nahmen diese zu, die strategische Lage verschlechterte sich. Und so standen wir nicht nur vor der Frage, was wir für richtig und notwendig erachteten und durchsetzen wollten. Sondern wir kämpften zunehmend auch gegen Forderungen nach einem verschärften Ausländerrecht. Die sachlichen Ergebnisse des Kompromisses sollten daher nüchterner betrachtet werden als es manche Stimmen auch bei uns tun.

Bei der Frage der Arbeitsmigration ist unsere Forderung nach einem modernen Punktesystem und einer generellen Aufhebung des Anwerbestopps für qualifizierte Fachkräfte auf den massivsten Widerstand der Opposition gestoßen und musste im Kompromiss für Zugeständnisse an anderer Stelle aufgegeben werden. Die Union hat damit vor allem der deutschen Wirtschaft geschadet, die in manchen Branchen und Regionen schon heute ihren Fachkräftebedarf nicht mit deutschen Arbeitskräften decken kann.

Wir konnten allerdings ersteTüröffner durchsetzen: der Anwerbestopp für qualifizierte Arbeitssuchende aus Nicht-EU-Ländern wird gelockert; Höchstqualifizierte erhalten erstmals ein Niederlassungsrecht statt nur ein befristetes Aufenthaltsrecht; dieVoraussetzungen für die Aufenthaltserlaubnis von ausländischen Selbständigen wird erleichtert; ausländischeStudienabsolventen erhalten ein Jahr nach Abschluss die Möglichkeit, einen studienfachbezogenen Arbeitsplatz aufzunehmen. In der Union spüren viele, dass dem heutigen Kompromiss weitere Schritte folgen werden und sie nur Rückzugsgefechte führen. Der Druck aus Wirtschaft und Wissenschaft nach weiteren Öffnungen wird auch auf die Union zunehmen. Denn die Fachkräftelücken werden mit dem demografischen Wandel nicht ohne weiteren Zuzug aus dem Ausland geschlossenwerden können. Und für mich ist es auch keine Frage, dass wir auf weitere Liberalisierungen drängen werden.

Wo wir uns stärker gegen die Union durchsetzen konnten, ist der Bereich des Flüchtlingsschutzes. Hier wird die Rechtslage klar verbessert. Nach vielen Jahren heftiger Kämpfe mit den Konservativen werden endlich in Deutschland nichtstaatlich und aufgrund des Geschlechts Verfolgte Asyl nach der Genfer Konvention erhalten. Manche unken,dass hätte es in ein paar Jahren auch durch Druck der EU gegeben. Ob das so tatsächlich gekommen wäre, sei mal dahingestellt. Wichtig ist mir hierbei zweierlei: Erstens ist das Warten auf die EU keine Hilfe für die Menschen, die jetzt und bis zu einer eventuellen Umsetzung einer EU-Richtlinie bei uns um Asyl aufgrund besagter Verfolgungsgründe nachsuchen. Denen muss der EU-Verweiseher böse aufstoßen. Und Zweitens anerkennt Deutschland diese Asylgründe in Zukunft aus eigenem Beschluss, nicht weil Andere dies erzwingen. Dies begründet eine andere Legitimation und deshalb ist dies auch für den gesellschaftlichen Umgang damit wichtig.

Des Weiteren haben wir Erleichterungen der Aufenthaltserlaubnisse für Flüchtlinge und des Familiennachzugs durchgesetzt. Und den Ländern wird nun auf gesetzlicher Grundlage die Möglichkeit gegeben, Härtefallkommissionen oder ähnliche Stellen einzurichten, die mit den Ausländerbehörden über Bleiberechte auch ohne Vorliegen gesetzlicher Voraussetzungen verhandeln und dies empfehlen können. Es liegt nun an den Ländern – und dem Engagement unserer Partei in den Bundesländern – solche Härtefallkommissionen rasch und mit genügend humanem Spielraum einzuführen. Eine Lücke ist geblieben in der Frage des Bleiberechts und einerAltfallregelung für langjährig in Deutschland geduldete Menschen ohne gesetzlich begründete Aufenthaltserlaubnis. Hier werden wir schon bald wieder eine neue Initiative starten und mithilfe des großen gesellschaftlichen Engagements von NGOs, Wohlfahrtsverbänden, Kirchen und Prominenten die Länder von ihrem eigenen Nutzen überzeugen suchen.

Das rot-grüne Anspruchsmodell bei der Integration konnte nicht eins zu eins gegen die Union durchgesetzt werden. Aber wir bekommen jetzt erstmals bundesweit einen Rechtsanspruch auf Integrationskurse für Neuzuwanderer und Teilnahmemöglichkeiten für hier bereits ansässige Einwanderer. Dass dies auch umgekehrt mit (unterschiedlichen) Teilnahmepflichten verbunden ist, widerspricht grünem Selbstbestimmungsanspruch. Doch stellt auch dies einen Kompromiss dar, denn wir haben von der Union geforderte weitergehende Verschärfungen (Verlust der Aufenthaltserlaubnis) verhindert, die ohne uns gekommen wären. Und auch hier gilt für mich unterm Strich: Wenn damit auch vorerst nur Sprachkurse zur Integration eingeführt werden und Integration nicht darauf reduziert werden kann, so dokumentiert Deutschland parteiübergreifend erstmals, dass es ein Einwanderungsland ist und damit auch in der Pflicht ist, sich um die Einwanderer und ihre Integration in unsere Gesellschaft zu kümmern.


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